Was mich die Fotografie gelehrt hat

Offener sein

Ich habe eine klassische Ausbildung zur Fotografin gemacht und in meiner Berufsschulzeit sollte ich einmal das Thema „Mitgefühl“ fotografisch umsetzten. Ich wollte dazu eine arme, obdachlose Person fotografieren. Denn was kann mitleiderregender sein, als ein Mensch der keine Heimat hat, der einfach nichts besitzt.

So erfuhr ich, dass in Rüsselsheim unter einer Brücke ein scheinbar netter Obdachloser wohnt. Er wird „der Opa“ genannt. Also fuhr ich zu ihm und unterhielt mich mit ihm – ein paar Stunden lang.
Herr Krause – das ist sein richtiger Name – erzählte mir von seinem Leben. Von seinen Auslandsaufenthalten als Feldarbeiter, wie ihm jemand seine Konservendosen gestohlen hat, nur um ein paar Tage später, heimlich, die doppelte Menge wieder hinzustellen und über seine Auftritte als Nikolaus in den Kindergärten. Er beschwerte sich, dass Fußgänger ihre Zigarettenstummel immer unter der Brücke auf den Boden warfen (er benutzt vorbildlich einen Aschenbecher) und schwärmte ganz viel von seinem Hund Otto.

Als ich Herr Krause aufgesucht habe, wollte ich eigentlich das Thema Mitgefühl fotografieren – einen armen, obdachlosen Mann mit seinem Hund. Was ich stattdessen vor die Linse bekommen habe, ist eine tiefe, bedingungslose Verbundenheit zwischen einem intelligenten, freundlichen und humorvollen Mann und seinem besten Freund.
Herr Krause hat schon viel erlebt und auch wenn er kaum materielle Besitztümer hat, so ist er doch alles andere als arm. Sein Reichtum liegt in seinen Erinnerungen, seinem Humor und seiner Freundschaft zu Otto.

Dieses Erlebnis hat mir mal wieder gezeigt, wie oberflächlich man doch manchmal sein kann und das auch ich, obwohl ich immer dachte ein offener Mensch zu sein, unbewusst viele Vorurteile angesammelt habe. Die Fotografie hilft mir die Welt aus anderen Perspektiven zu erleben. Sie sorgt dafür, dass ich mich mit Dingen auseinandersetzte, mit denen ich mich ansonsten nicht beschäftigt hätte. Und wenn ich ganz viel Glück habe, sorgt sie auch dafür, das andere Leute ihre Sicht der Dinge überdenken und sich ein bisschen dem Leben öffnen.

Neues ausprobieren

Für meine Abschlussprüfung durfte ich mir 2017 ein freies Thema für meine Gesellenprüfung aussuchen. Aufgrund meiner Begegnung mit Herr Krause, wollte ich gerne wieder eine Aufgabe die mich in eine, für mich ungewohnte Situation bringt – etwas das ich eigentlich wirklich nicht gerne habe, ich bin ein Gewohnheitstier 😉

Trotzdem habe die Werkstatt für Behinderte in Mörfelden-Walldorf kontaktiert und durfte einen Tag lang die Menschen bei der Arbeit begleiten und zu sehen, wie sie z.B. Luftfracht-Sicherungssysteme herstellen. Ich hatte vorher nicht viel Erfahrung mit Menschen mit Beeinträchtigungen und wusste nicht, was mich erwartet, ich kannte vor allem eine sehr liebe Frau mit Downsyndrom, aber das war es dann auch. Ich war also durchaus etwas nervös, aber am Ende habe ich vor allem eines angetroffen – Menschen. Sie waren fröhlich, ernst, neugierig oder einfach in die Arbeit vertieft. Es gab auch den einen oder anderen Spaßvogel der viel geredet oder mal Quatsch gemacht hat, aber vor allem haben sie ihren Job gemacht und waren erfreut, dass sich jemand für sie und ihre Arbeit interessiert.

Menschen mit Behinderung haben vielleicht ein Chromosom oder einige Einschränkungen mehr wie andere, aber im Grunde, sind wir alle gleich. Das gewisse Berührungsängste vor dem ungewohnten und unbekannten bestehen, verstehe ich absolut, mir ging und geht es immer noch genau so, aber durch die Fotografie komme ich manchmal aus meinem Mauseloch gekrochen. Das war auch mit ein Grund warum ich mich selbstständig gemacht habe: Die Selbstständigkeit bringt 1000 Dinge mit sich die mir neu sind und mit den ich mich nicht auskenne. Prinzipiell ist das etwas, das mir wirklich Angst macht und nicht in meiner Komfortzone liegt, aber da ich nun gezwungen bin mich mit ihnen auseinander zu setzen, wachse ich stetig daran.

Gutes Tun

Da ich das Privileg habe, diesen tollen Job ausüben zu dürfen und darüber sehr dankbar bin, habe ich mir vorgenommen, immer wieder auch mal etwas Gutes zu tun, solange es mir möglich ist. So habe ich z.B. schon kostenlose Bilder für die Kinderkrebshilfe in Frankfurt gemacht oder Tierheimen/dem Tierschutz meine fotografische Hilfe angeboten.

Eine besondere Erinnerung ist für mich aber eine Fotoaktion für die Betroffenen des Hochwassers in Ahrweiler.
Das Hochwasser zerstörte im Sommer 2021 viele Häuser, Brücken und Straßen im Ahrtal und die Bewohner dort verloren ihr Zuhause, ihren Job und teilweise ihre Liebsten.

Mein Partner fuhr mit Arbeitskollegen und Freunden direkt nach der Katastrophe mit dem Eventwerk Rodgau nach Ahrweiler und begann den Bewohnern dort zu helfen, Trümmer beiseite zu schaffen, die Haushalte mit Strom und Wasser zu versorgen und zu unterstützen wo es nur ging. Ich war mitten in der Hochsaison, hatte einen vollen Terminkalender mit Hochzeiten & Co. und konnte nicht direkt mitkommen. Sobald es in der Nebensaison etwas ruhiger wurde, fuhr ich das erste Mal mit ins Ahrtal um zu helfen und war sehr überrascht, denn die Menschen dort waren unglaublich dankbar und herzlich, trotz allem, was sie erlebt haben. Das hat mich dazu gebracht, ihnen noch etwas mehr bieten zu wollen und im Frühjahr eine kostenlose Fotoaktion mit 18 kleinen Shootings dort zu machten.

Eine kurze Auszeit zum fröhlich sein inmitten des Chaos das noch herrschte, Fotos um neue Erinnerungen zu schaffen, Bilder, die die frisch renovierten Wände schmücken können. Zu sehen, wie gut die Aktion ankam, hat mich unglaublich gefreut, denn alle Termine waren schnell weg und man hat gemerkt, wie sehr die Betroffenen dort eine kleine Ablenkung brauchten. Einige erzählten auch von ihren Erlebnissen mit dem Unwetter, wie knapp sie sich retten konnten und wie es andere leider nicht mehr geschafft haben.
Zu wissen, dass ich sie mit meinen Fotos und einem offenen Ohr vielleicht ein kleines bisschen unterstützen konnte, hat mir viel gegeben und ich war nochmal umso dankbarer für alles, was ich in meinem Leben besitze.

Emotionen Spüren und Einfangen

In der Fotografie geht es für mich darum, Emotionen zu spüren und einzufangen. Deswegen liebe ich Hochzeiten, Paarshootings und Familienfotos: Da gibt es so viele positive Emotionen und ich halte sie nicht nur fest, ich sauge sie auch auf und sie erfüllen mich und machen mich glücklich.

Und meine Kunden binden mich mit ein. Ich sehe wie Paare miteinander wachsen, sehe Kinder älter werden und werde bei den Hochzeiten von Familien und Freunden integriert und mit aufgenommen.

Ich bin ein friedliebender Mensch und mein Job ist, gerade in der Hochzeitssaison, oftmals doch recht stressig und anstrengend, mehr als manche vielleicht denken. Trotzdem ist es ein Beruf der mir so viel gutes zurück gibt und der mich manchmal, wenn ich alleine am PC sitze, lächeln lässt, weil ich ein Foto bearbeite und dabei an den schönen Moment zurückdenke.

Lasst uns gemeinsam eure Geschichte einfangen und für die Ewigkeit festhalten!

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